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Die Grünen hieven die CDU ins Rathaus

“Die Stadtfarbe ist Rot”. So hieß ein 1976 erschienenes Buch über die Geschichte der Arbeiter- und Sportbewegung in Mörfelden. Der Titel des Buches war der alten Stadtsatzung entnommen, die diese kategorische Feststellung in ihrem ersten Artikel ausgesprochen hatte. Und das war nicht nur auf das Wappen der Stadt Mörfelden bezogen, sondern durchaus politisch gemeint: Die Arbeiterparteien SPD und KPD hatten die Mehrheit in Mörfelden und Walldorf, bevor das Großkapital 1933 den Faschisten die Macht zuschob. Nach dem 2. Weltkrieg prägten SPD und KPD wiederum die politische Landschaft in beiden Städten. Die “Schwarzen” hatten seit 1946 in keiner der Städte (und nach der Fusion 1976 in keinem der Stadtteile) wirklich Fuß fassen können. Das hatte seinen Grund: Die fast nahtlose Fortführung des autoritären Staates durch die CDU-Regierung nach Gründung der Bundesrepublik wurde gerade in Mörfelden und Walldorf abgelehnt. Die lokalen Vertreter der Adenauer-Partei, die die Spaltung Deutschlands in Kauf genommen hatte, nur um Kommunisten und andere Linke von der Macht fernzuhalten (Konrad Adenauer: “Lieber das halbe Deutschland ganz, als das ganze Deutschland halb.“), waren nicht sehr hoch angesehen.

Bis heute unvergessen: Das von der CDU durchgesetzte KPD-Verbot

Das von der CDU-Regierung 1956 durchgesetzte und bis heute bestehende KPD-Verbot brachte vielen Bürgern, die dieser Partei angehörten, lange Gefängnisstrafen ein. Das ist und bleibt unvergessen. Seit die DKP 1968 als Kommunistische Partei neu konstituiert wurde, stand und steht sie bis heute unter dem Damoklesschwert dieses Verbotes. Ihre Mitglieder wurden mit Berufsverboten belegt und auch sonst auf jede mögliche Weise schikaniert und kriminalisiert. Die teils aggressive, teils herablassend-süffisante Behandlung der DKP durch die örtliche CDU ist ebenfalls unvergessen. Seit ein paar Jahren hat sich der Ton ein wenig geändert, man grüßt sich, man ist oft sogar per Du. Aber wenn auch CDU und DKP/LL, beide in der Opposition, oftmals zusammenarbeiteten – besonders zu Zeiten der unsäglichen FWSPDFDP-Koalition –  so hat sich doch an der prinzipiellen Lage nichts geändert. Der Wolf hat nur Kreide gefressen. Die Zusammenarbeit der lokalen CDU mit Kommunisten und Linken wird von den höheren Vorständen der CDU gar nicht gerne gesehen. In Mörfelden-Walldorf wird sie, auf Grund der  besonderen Lage, widerwillig gestattet. Aber genau wie der Regen immer von oben nach unten fließt, so hat sich das Verhältnis von CDU und DKP nicht wirklich geändert:  Hier eine Partei des Großkapitals (was aktuelle Affären immer wieder bestätigen), dort eine den arbeitenden Menschen verpflichtete Partei, die sich auf die Ideen von Marx, Engels und Lenin stützt. Das ist und bleibt wie Wasser und Feuer.

Die Grünen – eine bürgerliche Partei

Wer aber jetzt geglaubt hatte, die Grünen, die sich Anfang der Achtziger aus der Bewegung gegen die Startbahn West heraus (zunächst als “Grüne Bürgerliste”) gegründet hatten, würden diesen einfachen Zusammenhang verstehen, der irrt sich gewaltig. Was als radikaldemokratische Bewegung begann, ist heute in der liberal-konservativen Ecke gelandet und wurde schon scherzhaft als “FDP für Veganer und Liegeradfahrer” bezeichnet, oder als “Verkaufsagentur der Klimaindustrie”. Diese Partei ist mit der Ortsgeschichte nicht vertraut, ist hier nicht wirklich verwurzelt, und hat so gut wie keine Ahnung vom roten Mörfelden und vom roten Walldorf. An Orten, wo diese Geschichte bewahrt wird, wie z.B. in der Arbeit der Horváth-Stiftung, sind Grüne nur vereinzelt zu sehen. Nur so ist es zu verstehen, dass die Grünen diesen einzigartigen Tabubruch in der Geschichte von Mörfelden und Walldorf begangen haben. Denn es ist nicht weniger als ein Tabubruch, den Steigbügelhalter für die CDU zu spielen und dieser Partei im roten Mörfelden-Walldorf, zum ersten Mal seit 1946, zur Beteiligung an einer Mehrheits-Koalition zu verhelfen.

Einen Teil der Schuld trägt die SPD

Diese bemerkenswerte politische Naivität und Blauäugigkeit wird aber verständlich, wenn man sich die Wandlung der örtlichen SPD betrachtet. Sie wurde während der Startbahn-West-Zeit von vielen guten Leuten verlassen, was bis heute nachwirkt, und danach auch noch von allen guten Geistern. In der Wahlzeit 2016-2021 betrieben die führenden Leute der SPD gemeinsam mit FW und FDP eine rücksichtslose neoliberale Politik und wurden dafür vom Wähler empfindlich abgestraft.

CDU statt SPD – vom Regen in die Traufe

Aber jetzt herzugehen und die vom jahrelangen Kreidefressen doch nur scheinbar geißleinhaft-weich daherkommende CDU als Koalitionspartner auszuwählen, und eine ebensogut mögliche Koalition mit der ebenso starken SPD zu verwerfen – das heißt, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben, das heißt, vom Regen der nur rechtsgewendeten SPD in die Traufe der wirklichen Rechten zu geraten, das heißt, das gesamte politische Klima der Stadt in Frage zu stellen. Und die CDU ist nun mal eine rechte Partei – da beißt die Maus keinen Faden ab. Die Grünen tun damit der Stadtgesellschaft keinen Gefallen und senden ein falsches und gefährliches Signal aus. Viele der “Wechselwähler”, die dieses Mal den Grünen ihre Stimme gaben, kommen aus dem Umfeld der SPD. Sie haben mit ihrer Stimme für die Grünen ein Warnsignal an die SPD ausgesandt, das große Teile dieser Partei auch gut verstanden haben. Mit diesem Signal war der Auftrag an die Grünen verbunden, die SPD auf den Weg der Vernunft zurück zu drängen – und nicht der Auftrag, die Schwarzen an die Macht zu bringen.

Für diesen Tabubruch werden sich die Grünen spätestens bei der nächsten Wahl verantworten müssen.

Published inAllgemein