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Was Natur ist, bestimmen wir!

Oder: Wie man natürlichen Wald grob rodet und künstlich einen natürlichen Wald pflanzt

Vor vielen Jahren berichtete das amerikanische Wohlfühlmagazin “Reader’s Digest” von einer Dame, die beim Briefkastenonkel ihrer Lokalzeitung anfragte, was man tun soll, wenn man einen violett glitzernden künstlichen Weihnachtsbaum aus Elox hat. Der ist zwar schön und bunt und garantiert unbrennbar, aber es fehlen die herab gefallenen Nadeln unter dem Baum, die erst die richtige weihnachtliche Atmosphäre schaffen. Der Briefkastenonkel wusste Rat: “Besorgen Sie sich eine Handvoll Tannennadeln aus dem Stadtpark. Dann kaufen Sie eine Spraydose mit violetter Metallic-Farbe, sprühen damit die Nadeln ein und legen sie unter den Baum. Das sieht dann ganz natürlich aus.”

Ein ähnliches Verhältnis zur Natur scheinen unsere Grünen zu haben. Laut Presseerklärung der Stadt hat man dies hier angeleiert:

“Rund 7000 Bäume werden bei der bislang größten Bürger-Aufforstungsaktion der Stadt Mörfelden-Walldorf eingepflanzt und Rathauschef Thomas Winkler zeigt sich beeindruckt von der Resonanz: (…) ‘Die vielen Anmeldungen zeigen, dass den Menschen aus Mörfelden-Walldorf ihr Wald wirklich am Herzen liegt’, freut sich der Bürgermeister.” Weiter heißt es in der Veröffentlichung: “Vorbereitungen für die Aktion laufen bereits seit einiger Zeit. So ist etwa die Fläche geräumt und schon einmal grob für die Pflanzaktion vorbereitet worden.”

Beides stimmt: Die Menschen dieser Stadt wissen den Wert des Waldes wirklich zu schätzen. Und die Fläche ist in der Tat “grob für die Pflanzaktion vorbereitet worden”. Sehr grob, um genau zu sein. Saugrob.

Das betreffende Gebiet wurde mit schwerstem Gerät brutal gerodet. Dabei wurde keinerlei Rücksicht auf Bodendenkmäler genommen. Dort liegen noch Fundamentreste und andere Strukturen der ehemaligen KZ-Außenstelle Walldorf, die – eigentlich – unter Denkmalschutz stehen. Die grobe Rodungsaktion wurde aber weder mit dem Denkmalschutz noch mit der Horvath-Stiftung abgesprochen, die das Andenken an dieses Lager und die darin gequälten Frauen bewahrt. Aber was soll’s – der Wald dort war nach Meinung der Verantwortlichen minderwertig, die Natur hat dort grobe Fehler gemacht und in den letzten 75 Jahren Bäume und Gebüsch wachsen lassen, die sich mit der Klimapolitik nicht auskennen und deshalb fehl am Platz sind. Die müssen natürlich weg. Wir kennen das vom Mörfelder Rathausplatz, wo vor einigen Jahren – die Grünen waren noch als Juniorpartner der SPD mit am Ruder –  ein stattlicher Baum gefällt wurde, der keinerlei  Anzeichen von Krankheit oder Schwäche gezeigt hatte. Die offizielle Erklärung lautete: Der Baum sei eine “Selbstansaat” gewesen und habe zunehmend dem Fußgängerverkehr im Wege gestanden. Das geht ja nun wirklich nicht, dass ein Baum selbst entscheidet, wo er wächst, und dann noch den Dallesbesuchern vor die Füße hüpft. Was natürlich ist und Klima- bzw. Fußgängergerecht, das entscheidet immer noch die grün befehligte Stadtverwaltung. Alles andere kommt weg! Und so haben wir jetzt einen groben Kahlschlag, auf dem von wohlmeinenden Bürger*innen nach und nach 7.000 Bäumchen gepflanzt werden. So entsteht bei uns ein “ganz natürlicher Wald”. Und wenn er nicht grünen will?  Dann helfen wir mit grüner Sprayfarbe nach. Ganz natürlich.

Published inAllgemein