Die Corona-Krise hat das öffentliche Leben lahmgelegt. Lahmgelegt und praktisch außer Kraft gesetzt wird auch die Demokratie. Der Hessische Landtag hat eine Änderung der Hessischen Gemeindeordnung beschlossen (§51 a HGO). Das ist praktisch ein Ermächtigungsgesetz, das die Möglichkeit bietet, die Arbeit der kommunalen Vertretungskörperschaften weitgehend auszusetzen und die Öffentlichkeit weitgehend auszuschließen.
In Mörfelden-Walldorf kam das der Rathauskoalition aus SPD, Freien Wählern und FDP wie gerufen. Der Stadtverordnetenversammlung und ihren Ausschüssen werden unter Berufung auf diese Gesetzesänderung Einschränkungen auferlegt, die jedes vernünftige Maß überschreiten. Kann-Bestimmungen werden als Soll-Bestimmungen interpretiert. Magistratssitzungen fallen aus und werden durch Beschlüsse im schriftlichen “Umlaufverfahren” ersetzt. Eine Diskussion findet nicht statt. Die Möglichkeiten des Internets (Videokonferenzen bis 100 Teilnehmer, Beteiligung der Öffentlichkeit durch Livestream) werden ignoriert. Die Behauptung im Freitagsanzeiger, dass der Magistrat telefonisch tagt, ist eine Unwahrheit.
(ich muss es wissen, ich bin Magistratsmitglied)
Gar nichts wurde beraten, weder telefonisch noch sonst wie. Die Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung, außer vielleicht ein paar von der Koalition, wissen nicht, was die Verwaltung treibt. Mandatsträger werden über so gut wie nichts informiert. Die nächste Stadtverordnetenersammlung fällt aus. Ihre Arbeit soll durch eine Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses ersetzt werden, der am 23. April 2020 unter Ausschluss der Öffentlichkeit in Form einer Telefonkonferenz tagt. Die Beschlussvorlagen, die normalerweise im Rats- und Bürgerinformationssystem auf der Homepage der Stadt Mörfelden-Walldorf veröffentlicht werden und für jedermann nachlesbar sind, bleiben für diese Sitzung geheim. Aus gutem Grund: Unter dem Nebelvorhang der herrschenden Coronoia sollen unter anderem Beschlüsse zu umstrittenen Themen heimlich durchgezogen werden, ohne dass die Öffentlichkeit etwas davon mitbekommt. Darunter ein Beschluss zum sogenannten “Frankfurter Bogen”. Da geht es darum, einfach gesagt, für die Stadt Frankfurt zu bauen. Die geheime Beschlussvorlage der Rathauskoalition sieht vor, einige der letzten Grünflächen der Stadt zur Bebauung freizugeben, darunter das große Kleingartengelände “im See”. Das hatte die FDP in den frühen Siebzigern schon mal versucht. Damals scheiterte das am massiven Widerstand der Mörfelder Bevölkerung. Diese lästige Einmischung der Bevölkerung in Spekulanten-Angelegenheiten wird heute durch die kreative Anwendung des neuen Ermächtigungsgesetzes verhindert.
Es heißt zwar in diesem Gesetz, das bis Mai 2021 gelten soll, dass die Stadtverordnetenversammlung – wenn sie denn wieder einmal normal tagt – die Beschlüsse der Geheimsitzung des HFA wieder aufheben kann. Aber Achtung, Falle: Die besteht darin, dass diese Vorschrift nur gilt, “soweit nicht durch ihre Ausführung bereits nicht mehr rückgängig zu machende Rechte Dritter entstanden sind.” Was auf Deutsch heißt: Die meisten Geheimbeschlüsse können nicht mehr demokratisch kontrolliert und rückgängig gemacht werden, weil dieser Gummiparagraph auf die weitaus meisten dieser Beschlüsse angewendet werden kann. Dass es auch anders geht, beweisen Beispiele aus Nachbargemeinden und ähnlich großen Städten im Bundesgebiet. Dort tagen Magistrate weiterhin, indem man einfach größere Räume benutzt, in denen man Abstand voneinander halten kann, und zusätzlich einen Mundschutz trägt. Das gleiche gilt für Ausschüsse der Stadtparlamente. Es gibt Videokonferenzen, die öffentlich verfolgbar sind. In vielen Städten der Umgebung folgt man zwar auch der Ausnahme-Möglichkeit, den Haupt- und Finanzausschuss stellvertretend für die Stadtverordnetenversammlung tagen zu lassen. Aber man setzt fairerweise nur solche Themen auf die Tagesordnung, die unstrittig sind, und vermeidet das heimliche Beschließen umstrittener Vorlagen. Unsere Rathauskoalition hat einen anderen, nämlich den klammheimlichen (und auch nicht ganz legalen) Weg gewählt, um ihre Politik durchzusetzen. Oder – wie manche bösen Zungen sagen – die Politik ihrer Auftraggeber.